Alfredo Häberli

10 Fragen an ...

Ein Foto des Designers Alfredo Häberli, in welchem er auf einem Stuhl sitzt und in zwei Bücher hineinschaut.

Das Studio von Alfredo Häberli befindet sich im Zürcher Seefeld.

Bekannt für reduziertes und erfinderisches Design, überrascht uns der Zürcher Tüftler Alfredo Häberli mit seinem neuen Buch: «Verbal Gekritzelt. 30 Jahre, Fragen, Antworten.» 

Im ersten Band seines zweiteiligen Buchs nimmt uns Alfredo mit auf eine Reise durch sein Designer-Leben. Der zweite Band hingegen wird persönlicher. Der Designer lud dreissig Persönlichkeiten aus seinem Netzwerk ein, die ihm brennende Fragen stellen. Mit Witz und Ehrlichkeit gibt er Antworten, die tiefe Einblicke in seine Gedankenwelt gewähren. Mehr zu seiner spannenden Person erzählt er uns im Interview.

Alfredo Häberli, Sie sind so oft in der Presse. Warum haben Sie nun noch ein Buch über sich veröffentlicht?

Alfredo Häberli: Das Pflanzen eines Baumes, das Zeugen eines Kindes und das Schreiben eines Buches – dieses alte asiatische Sprichwort hat mich inspiriert. Obwohl dies nicht mein erstes Buch ist, ist es das Erste, das ausschliesslich aus Text besteht, ohne Bilder. Publikationen in der Presse dienen oft den Interessen der Industrie und sind manchmal durch Werbung finanziert. Wir Designer:innen sind ein Teil dieses Systems. Ein Buch hingegen steht für sich, frei von den Zwängen unserer alltäglichen Designarbeit.

 

Wie gingen Sie die unterschiedlichen Bände an und wieso wurden es zwei Bände?

AH: Den Auftakt machte ich mit dem Band «Verbal gekritzelt», der Geschichten und prägende Erlebnisse versammelt, die meinen Weg als Designer nicht nur nachzeichnen, sondern auch entscheidend formten. Dieses Buch entstand aus dem Wunsch heraus, jungen Designern zu zeigen, dass unser Lebensweg eine Aneinanderreihung von Weggabelungen ist, die oft nur geahnt werden können, aber durchlaufen werden müssen. Da es keine klaren Rezepte gibt, fiel der Umfang dieses Bandes entsprechend gross aus. Gleichzeitig feierte ich das 30-jährige Bestehen meines Studios und ich kam auf die Idee, Persönlichkeiten einzuladen, mir je eine Frage zu stellen. So entstanden diese zwei Bänder mit den zwei Facetten meiner selbst.

 

In Ihrem Buch «30 Jahre, Fragen, Antworten.» erläutern Sie, dass zukünftige Designer:innen auch Begabung besitzen müssen und dass nur ein Teil erlernbar ist. Wie teilte sich die Begabung und Erlernung bei Ihnen auf?

AH: Meine Begabung ist die aufmerksame Beobachtung des Alltags, die ich als Grundlage für mein Denken nutze. Zudem sehe ich mich als Menschenfreund, was es mir ermöglicht, gemeinsam mit Menschen für andere Menschen Ideen, Lösungen und reale Produkte zu entwickeln. Als Designer ist es essenziell, vielfältige Fähigkeiten zu besitzen: Kommunikation, Präsentation, Artikulation, Zeichnen, sowie Schönheit sehen und konzeptionell Denken können. Je nach Projekt schlüpfe ich in die Rolle des Ingenieurs, Zeichners, Konstrukteurs oder Künstlers, manchmal auch des Vermittlers. Viele dieser Fertigkeiten lassen sich bis zu einem gewissen Grad erlernen oder man ergänzt sie durch die Zusammenarbeit mit anderen. Doch das Staunen, das intuitive Sehen und das tiefe Empfinden sind Talente, die nur begrenzt lehrbar sind.

Ein Foto eines Mannes. Man sieht nur die Taschen des Anzugs. In den Taschen befinden in jeder Tasche ein Buch.

Die Auszeit der Pandemie wurde zu einer Gelegenheit für Reflexion und Kreativität, die es Alfredo ermöglichte, den Stift zu Papier zu bringen. 

In Ihrem Buch erzählen Sie oft über Mut und Glück; man muss, um an das Glück zu glauben, Mut haben. Wann waren Sie in Ihrer Karriere mutig?

AH: Wichtig und doch so schwierig ist es, den Mut aufzubringen, auf das Glück zuzugehen. Für mich bedeutet das, sich selbst gut zu kennen und entschlossen dem zu folgen, für was das Herz schlägt, ohne die Angst vor Verlust zu fürchten. In meiner Karriere – ein Ausdruck, den ich nur ungern verwende – war die mutigste Handlung, nie einen Plan B zu haben. Es gab immer nur einen Weg, der jedoch nie linear verlief. Dafür bin ich dankbar, auch wenn es bis heute viel Kraft und eben diesen Mut erfordert.

 

Obwohl man als Designer:in konstant in die Zukunft blickt, handeln die Bücher prinzipiell von der Vergangenheit. Ist diese Nostalgie nicht widersprüchlich?

AH: Die Idee, über diese «Vergangenheit» zu schreiben, kam mir schon vor Jahren, als ich als Designdozent den Studierenden meine Geschichten und persönliche Erlebnisse erzählte. Mir fiel auf, dass diese jungen Leute wenig über Designgeschichte wussten, ganz zu schweigen von den Persönlichkeiten, die ich das Glück hatte zu treffen und die meinen Weg so stark prägten. Meinen ersten Besuch der Möbelmesse in Mailand machte ich 1986 als Designstudent im ersten Semester. Seitdem habe ich keine einzige Messe verpasst, bis die Pandemie alles zum Stillstand brachte. Plötzlich fand ich mich mit einer leeren Agenda wieder, alle Termine wurden abgesagt, und ich beschloss, mit dem Schreiben zu beginnen – wenn nicht jetzt, wann dann?! So entstand das verbal Gekritzelte. In den Texten kommen Personen vor, die schon länger nicht mehr unter uns sind oder die während des Schreibens verstorben sind. Ebenso werden einige bekannte italienische Firmen erwähnt, die verkauft wurden oder heute zu Investmentgruppen gehören. Das hat sicher etwas Nostalgisches und auch Trauriges, aber das Schreiben half mir, diese Zeitepoche zu verarbeiten. Als Designer sehe ich jedoch die nahe Zukunft klar vor mir.

Was wäre ein Projekt, das Sie heute komplett anders angehen würden?

AH: Bei der Herangehensweise an Projekte habe ich stets mein Maximum gegeben, ganz nach dem Motto: «All in», jedoch ohne mich zu verkrampfen. Eine Sache, die ich rückblickend jedoch anders angehen würde, betrifft nicht ein Designprojekt, sondern das familiäre Zusammenleben mit meiner Frau Stefanie. Wir haben uns traditionellen Rollenbildern hingegeben, wobei Stefanie ihre beruflichen Ambitionen zugunsten unserer zwei wundervollen Kinder und des gemeinsamen Zuhauses zurückgestellt hat – eine Entscheidung, die wir gemeinsam trafen, die wir heute jedoch anders bewerten würden. Es ist ein Thema, an dem wir schon seit geraumer Zeit arbeiten …

 

Ein Goto des Designers Alfredo Häberli. Er lehnt gegen eine Säule und schaut in die Ferne.

Der in Buenos Aires geborene und in Zürich verankerte Designer beschreibt sich selbst als eine Mischung aus Schweizer Präzision und lateinamerikanischer Emotionalität

Wie zugänglich oder aufgeschlossen empfinden Sie die Schweiz für angehende Designer:innen? Und wie unterstützen Sie zukünftige Designer:innen?

AH: Der erste Teil der Frage zeugt von Schweizer Offenheit. Als Argentinier, der in seiner Jugend in die Schweiz kam, musste ich mich anfänglich anpassen, lernte aber schnell die schweizerische Ruhe und Zurückhaltung zu schätzen. Meine Direktheit in der Meinungsäusserung – natürlich nur, wenn gefragt – ist etwas, das ich als besonders bewerte. Die Schweiz hat viel zu bieten und wird für viele Qualitäten bewundert; ein bisschen mehr Selbstbewusstsein würde uns nicht schaden. Ich hoffe, meine Unterstützung für junge Designer:innen ist spürbar, nicht zuletzt wegen meiner eigenen Erfahrungen, dank meiner Offenheit und Zugänglichkeit alles selbst erarbeitet zu haben. Mit dem Projekt «Atelier Pfister», das vor über 10 Jahren lanciert wurde, konnte ich in Zusammenarbeit mit Möbel Pfister über einem Dutzend Designer:innen eine einmalige Plattform bieten. Diese Kollektion hat den Röstigraben überbrückt und eine Begeisterung für Schweizer Design geweckt wie nie zuvor, auch wenn sie Neid hervorrief. Am Ende zählt der Inhalt, und junge Talente, welche das mitbringen, unterstütze ich nach Kräften – sei es als Kurator von Projekten, Juror oder als Dozent im Masterstudiengang an der FHNW in Basel.

 

Die Bücher erwecken auch den Eindruck einer Biografie. Denken Sie denn langsam ans Aufhören?

AH: Es ist interessant, dass die Bücher offenbar einen Hauch von «Biografie» vermitteln, denn ich wollte nicht über mich selbst schreiben, sondern über alle anderen. Aufhören? Mit Golfyr und Rado bin ich gerade an den spannendsten Projekten seit langem. Auch wenn die Zeit nicht die Einfachste ist und Zeit das grösste Manko ist. Aufhören werde ich nicht morgen und nicht übermorgen und eine Idee für das nächste Buch habe ich zusammen mit meiner Frau auch schon.

 

Es ist auch etwas riskant, sich Fragen stellen zu lassen. Gab es eine oder mehrere Fragen, die Sie unbeantwortet gelassen haben? Wenn ja, welche und weshalb?

AH: Es birgt tatsächlich ein gewisses Risiko, sich den Fragen anderer zu stellen. Als Designer bin ich zwar kein Philosoph, Germanist oder Schriftsteller mit dem perfekten Sprachgefühl, dennoch fand ich es äusserst aufschlussreich, zu beobachten, welche Persönlichkeiten welche Frage stellte und wie sie sich bei der Einladung dazu verhielt. Es war eine lehrreiche Erfahrung. Letztlich haben alle dreissig Personen, die ich angefragt habe, eine Frage formuliert und ich habe es geschafft, auf jede eine Antwort zu finden – unbeantwortet blieb keine einzige!

 

Warum sollte ich Ihre neuen Bücher lesen?

AH: Weil sie hoffentlich eine Bereicherung darstellen und neue Perspektiven eröffnen. Zudem können sie als Inspiration dienen, Mut zu fassen und auf das Glück zuzugehen.

 

Die Vernissage zum zweibändigen Buch findet am Donnerstag, dem 7. März 2024 um 18.30 Uhr im Museum für Gestaltung, Zürich statt.

 

www.alfredo-haeberli.com

 

Ein Foto mehrer Bücher die auf einem weissen Stuhl stehen und von einem Mann in die Hand genommen werden.

Das Charakterstarke Stuhlmodell «Alambre» designte Alfredo für die Schweiz Firma Girsberger.